Hass und Hetze

Warum wir gegen Hass und Hetze vorgehen müssen

Hass und Hetze im Internet sind zum Alltag geworden. Wir dürfen menschenverachtende Worte einfach nicht ignorieren, sondern müssen ihnen entgegentreten, sagt Hasnain Kazim.

Foto: Peter Rigaud

Das Internet ist, ohne Frage, ein Segen. Überall auf der Welt, zumindest dort, wo es Verbindung zum Netz gibt, ist Wissen zugänglich. Jeder Mensch kann seine Meinung vor der ganzen Welt kundtun. Das Internet hat den Zugang und die Verbreitung von Informationen demokratisiert. Aber es ist dadurch auch möglich geworden, Fehlerhaftes, Ideologisches, vor allem aber auch Hass und Hetze zu verbreiten. Das hat schwerwiegende Folgen, weltpolitisch und individuell.

Weltpolitisch: Wir leben in Zeiten, in denen Extremisten an Einfluss gewinnen. Rechtsextremisten, Faschisten und Neonazis hier, Islamisten dort. Viele dieser Leute nennen wir verharmlosend Populisten. Sie bieten vermeintlich einfache Lösungen für komplexe Probleme, verbreiten Verschwörungsideologien und Lügen als „alternative Fakten“, gewinnen auf diese Weise Wahlen, stellen Abgeordnete und machen sich demokratische Strukturen zunutze, um die Demokratie auszuhöhlen. Sie setzen die Agenda, regieren in manchen Ländern mit, stellen in einigen gar den Regierungschef – und stets vergiften sie das Klima in einer Gesellschaft.

Individuell: Immer häufiger werden Menschen nicht mehr sachlich und argumentativ kritisiert, sondern es wird gegen sie gehetzt und Hass verbreitet. Das hat Folgen. Ein Beispiel: Der CDU-Politiker Walter Lübcke, Regierungs-präsident in Kassel, hatte 20015 auf einer Bürgerversammlung die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung verteidigt und über die Aufnahme von Menschen in der Region informiert. Einige Zuhörer buhten ihn aus, beschimpften ihn, riefen: „Scheiß Staat!“ Ihnen entgegnete Lübcke: „Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.“

Deutliche Sätze, die man natürlich kritisieren darf.

Hass und Hetze töten

Aber vier Jahre später, 2019, traten rechte Blogs eine Welle des Hasses gegen ihn los und nutzten ein Video von der Bürgerversammlung mit Lübckes Worten zur Stimmungsmache. Im Netz kursierten Bilder von einem Galgen, von Pistolen und Sprüche wie: „An die Wand stellen!“ Es waren Botschaften an Lübcke. Und tatsächlich nahm jemand diese Worte und Bilder ernst: In der Nacht auf den 2. Juni 2019 drang ein Rechtsextremist auf die Terrasse der Familie Lübcke vor und erschoss den Politiker aus nächster Nähe.

Worte haben Wirkung, und zwar nicht nur virtuelle, sondern ganz konkrete. Für das, was man sagt und schreibt, trägt man Verantwortung. Hass und Hetze töten. Manche Formulierungen sind Gewalt. In einer zivilisierten Gesellschaft ist längst nicht alles sagbar, denn Meinungsfreiheit heißt nicht, dass alles sagbar ist, schon gar nicht ohne Konsequenzen. Meinungsfreiheit bedeutet auch nicht Widerspruchsfreiheit – wer kritisiert, darf natürlich auch selbst kritisiert werden. Und Morddrohungen sind nicht von Meinungsfreiheit gedeckt.

Worte – und darauffolgende Taten – haben die Welt verändert, in den vergangenen Jahren leider nicht nur zum Besseren. Es ist ein gesellschaftliches Klima entstanden, das menschenfeindliche Inhalte als akzeptabel hinnimmt. Das Engagement gegen die Verrohung muss deshalb eine der wichtigsten gesellschaftlichen Aufgaben sein.

Hasnain Kazim schrieb lange für den „Spiegel“. Er arbeitet als freier Autor in Wien. Foto: Peter Rigaud
Hasnain Kazim schrieb lange für den „Spiegel“. Er arbeitet als freier Autor in Wien. Foto: Peter Rigaud

Mit anderen Worten: Wir dürfen Worte, die menschenverachtend, rassistisch, antisemitisch, frauenfeindlich, homophob et cetera sind, nicht ignorieren, sondern müssen ihnen entgegentreten. Jeder und jede einzelne von uns. Wir dürfen niemals schweigen – im realen Leben nicht und auch im Internet nicht. Wenn wir die liberale, tolerante, offene Gesellschaft verteidigen, wenn wir die freie, aufgeklärte Art zu leben beschützen wollen, bleibt uns gar nichts anderes übrig, als uns in die Auseinandersetzung zu stürzen. Widersprechen wir menschenverachtenden Äußerungen nicht, glauben immer mehr Menschen, sie dürften so reden. Zumal sich bei manchen die Überzeugung durchgesetzt hat, das Internet sei ein rechtsfreier Raum, in dem man beleidigen und drohen dürfe, wie es einem in den Sinn kommt.

Es gibt kein in Stein gemeißeltes Regelwerk, wie man sich gegen Hass und Hetze wehren kann. Aber es hilft, sich Gedanken über Leitlinien zu machen, wie man damit umgehen kann.

Grundsätzlich lohnt sich immer das Gespräch. Wenn jemand auf Facebook, Twitter & Co. etwas äußert, das in der Wortwahl abfällig erscheint, lohnt es sich nachzufragen: Wie meinst du das eigentlich? Oft stellt sich heraus, dass diese Person sich unüberlegt, unbeholfen oder unabsichtlich missverständlich ausgedrückt hat.

Argumente für Zuhörer und Mitleser

Immer häufiger gerät man aber an Menschen, die offen zu ihrem Hass stehen – und glauben, es sei ihr gutes Recht, ihn im Rahmen ihrer „Meinungsfreiheit“ zu artikulieren. Sie fühlen sich durch ein paar „Likes“, „Daumen hoch“, „Herzchen“ und sonstige im Netz übliche Formen der Zustimmung in ihrer Haltung bestätigt, wähnen sich plötzlich gar in der Mehrheit. Solche Leute kann man im Dialog kaum überzeugen, sie sind für Argumente und Logik kaum zugänglich – es scheint, als lohne es nicht, ihnen in den Kommentarspalten zu widersprechen. Und doch sollte man es unbedingt tun, denn das Netz ist eine große Bühne, auf der viele Menschen mitlesen. Bleibt eine Aussage unwidersprochen, gibt es viele, die sie als akzeptabel hinnehmen, als sagbare Meinung innerhalb eines breiten Meinungs-spektrums. Man argumentiert also immer auch für die Zuhörer und Mitleser.

Es lohnt sich, sich mit dem Entgegnen Zeit zu lassen, sprichwörtlich die Nacht drüber zu schlafen. Oft ist die Wut dann verflogen und man kann mit klarerem Kopf antworten. Ebenso lohnt sich der Versuch, auf offensichtliche Fehlinformationen, Verschwörungsideologien oder unlogische Argumentation sachlich einzugehen. Ironie macht erst Sinn, wenn man mit Sachlichkeit nicht weiterkommt. Auch wenn es schwer fällt, sollte man sich immer bewusst sein: Auch der, der dort Hass verbreitet, ist ein Mensch – sprich: ein gewisses Maß an Respekt sollte immer da sein.

Es gibt kein Recht auf Gehör

Wichtig ist auch, sich nicht in endlose Auseinandersetzungen zu verstricken. Wenn sich im Dialog das Gefühl einstellt, dass da jemand partout nicht zugänglich für Argumente ist, dass also jemand gar nicht von seinem Standpunkt abrücken will, obwohl alle Argumente gegen diesen Standpunkt sprechen, ist es sinnvoll, das Gespräch zu beenden. Und, falls diese Person weiter schimpft und beleidigt, sollte man sie blocken. Niemand hat das Recht auf Gehör – schon gar nicht, wenn er sich nicht zu benehmen weiß.

Die Frage, ob man im Netz anonym unterwegs sein sollte oder nicht, ist nicht so eindeutig zu beantworten. Grundsätzlich gehört es zu einem zivilisierten Miteinander, dass man einander ins Gesicht schauen kann, dass man also weiß, mit wem man es zu tun hat. Wenn das aber Gefahren mit sich bringt wie beispielsweise in repressiven Staaten, kann Anonymität einen Schutz bedeuten. Ebenso, wenn man mit Drohungen oder Beleidigungen zu rechnen hat. Man sollte also immer sorgfältig abwägen, wie man mit seinem Gesicht auftritt und wie viel man von sich preisgibt im Netz.

Wer zum Ziel einer hassvollen Kampagne wird und mit Drohungen und Beschimpfungen überzogen, sollte unbedingt zwei Dinge tun: Anzeige bei der Polizei erstatten, auch wenn solche Verfahren leider oft ins Leere laufen, und sich professionelle Hilfe suchen, beispielsweise bei einer Organisation wie „HateAid“. Es ist sinnvoll, sich in solch einem Fall für ein paar Tage aus dem Internet zurückzuziehen und seine Accounts gegebenenfalls eine Zeit lang einer vertrauten Person zu übergeben, die die Eingänge sichten und löschen kann. Warum? Um sich selbst zu schützen.

Hasnain Kazim ist gebürtiger Oldenburger und Sohn indisch-pakistanischer Einwanderer. Er studierte Politikwissenschaften und schlug eine Laufbahn als Marineoffizier ein. Das journalistische Handwerk lernte er bei der „Heilbronner Stimme“, von 2004 bis 2019 schrieb er für den „Spiegel“, die meiste Zeit davon als Auslandskorrespondent. Für seine Arbeit wurde er u. a. mit dem CNN Journalist Award ausgezeichnet. Heute lebt er als freier Autor in Wien. Seine Erfahrungen mit Hass und Hetze verarbeitete er in den Büchern „Post von Karlheinz“ und zuletzt „Auf sie mit Gebrüll!“ (Verlag Penguin/Random House).