Sie hatten die Altenheime bereits ausgesucht: neun in Winsen/Luhe, sechs in Buchholz, fünf in Tostedt, ein paar auch noch in den umliegenden Dörfern. „Es gab da eine kleine Betrugsserie bei uns in der Gegend“, sagt Michael Kropp, „Einschleichdiebstähle, Enkeltrick, so etwas.“ „Deshalb wollten wir mal rein in die Heime“, sagt Vera Theelen, „warnen, aufklären, der WEISSE RING informiert.“
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Außenstelle stellten Teams für die Heimbesuche zusammen. Die Polizei wusste Bescheid und wollte mitmachen. Die lokale Presse würde ein Foto schießen. „Es konnte losgehen“, sagt Theelen.
Dann kam Corona. Die Altenheime machten dicht. Niemand kam mehr rein: die Angehörigen nicht, der WEISSE RING nicht, „zum Glück vorerst auch keine Einschleichdiebe“, sagt Kropp. Erst Corona konnte die beiden Öffentlichkeitsarbeiter stoppen. Vera Theelen, 65 Jahre alt, sitzt jetzt im Homeoffice: Holz an den Wänden, Bücher im Regal, „die Kaffeemaschine in Reichweite“, sagt sie und lacht. Ihr gegenüber sitzt Michael Kropp, 62 Jahre alt, nicht leibhaftig, sondern auf dem Computer-Bildschirm: Er ist in seinem Arbeitszimmer in Winsen geblieben, das Gespräch findet als Videokonferenz statt. „Unser Jahresplaner war proppenvoll“, sagt Theelen. „Jetzt müssen wir fast alles absagen“, sagt Kropp.
Ein eingespieltes Team
Vor zweieinhalb Jahren haben sie zeitgleich beim WEISSEN RING angefangen: Kropp, der frühere Polizist, und Theelen, die mit einem Polizisten zusammenlebte. Beide gingen in den Ruhestand, beide suchten eine sinnvolle und interessante Beschäftigung. „Da lag der WEISSE RING nahe“, sagt Kropp, „ich hatte ja schon von Berufs wegen damit zu tun.“ „Und ich habe mich mein ganzes Leben lang für Kriminalität und für Menschen interessiert“, sagt Theelen, „das passte.“
Nahe lag auch, dass die beiden für ihre Außenstelle die Öffentlichkeitsarbeit übernehmen würden. Theelen hatte zuvor bereits zwölf Jahre lang in diesem Bereich für eine Suchtklinik gearbeitet. „Ich habe keine Scheu, auf Leute zuzugehen“, sagt sie. Kropp fotografiert und schreibt gern, „ich fülle die Homepage.“ Eine junge Mitarbeiterin stößt zum Team? Kropp denkt sich ein paar kluge Fragen aus, er macht ein Foto, schon geht unter „Neuigkeiten“ ein Interview online: „Lisa – ein neues Gesicht in unserer Außenstelle“. „Wir beiden sind schon ein eingespieltes Team“, sagt Theelen. „Bei uns läuft das so: Ich rufe Michael Kropp an und sage: Du, bei der Volkshochschule gibt es ein Seminar über Öffentlichkeitsarbeit. Ich habe uns da mal angemeldet.“ Kropp lacht und nickt.
Linker Bildschirm: „Laut einer Umfrage kennen 40 Prozent der Menschen den WEISSEN RING“, sagt Vera Theelen. Rechter Bildschirm: „Wir müssen es schaffen, dass das 60 Prozent werden. Oder noch besser: 80 Prozent!“, sagt Michael Kropp. Jetzt lacht Theelen. „Ich glaube schon, dass der WEISSE RING als Name bekannt ist“, sagt Kropp. „Aber wer ihn aus dem Fernsehen kennt, von ,Aktenzeichen XY … ungelöst‘, denkt oft, es geht bei uns nur um Kapitalverbrechen“, sagt Theelen. „Dabei helfen wir auch bei anderen Delikten“, sagt Kropp. „Wenn der Rentnerin auf dem Wochenmarkt das Portemonnaie mit dem Rest ihrer Rente geklaut wurde, und wir haben erst den 10. des Monats – dann muss sie doch wissen, dass wir ihr helfen können! Dass wir mit ihr zur Polizei gehen! Dass wir ihr materiell helfen! Und dass sie sich nicht schämen muss, unsere Hilfe anzunehmen!“, sagt Theelen. „Deshalb ist Öffentlichkeitsarbeit so wichtig.“
Sie halten den Kopf hin
Öffentlichkeitsarbeit, das geht bei Theelen und Kropp zum Beispiel so: Auf dem Weihnachtsmarkt verteilt der WEISSE RING Postkarten. Genauer: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stecken die Karten heimlich in Handtaschen. Anschließend sprechen sie die Menschen darauf an: Na, nichts gemerkt? Und wenn wir jetzt Taschendiebe wären?
„Prävention ist ein großes Thema bei uns“, sagt Vera Theelen, „unser Außenstellenleiter Karl-Heinz Langner ist ja im Landesverband der Präventionsbeauftragte.“ Öffentlichkeitsarbeit bedeutet aber auch, Multiplikatoren zu schaffen: Die Polizei lief mit über den Weihnachtsmarkt, die örtliche Presse schoss ein Foto und berichtete.
„Als wir anfingen, haben wir uns zuerst in den Redaktionen vorgestellt“, sagt Kropp. Die Folge war ein großer Artikel im „Winsener Anzeiger“, mit Foto von Theelen und Kropp. Öffentlichkeitsarbeit bedeutet, dass man manchmal buchstäblich den Kopf hinhalten muss für den WEISSEN RING. „Aber das ist ja nicht schlimm“, sagt Vera Theelen, „im Gegenteil: Ich habe so viele nette Rückmeldungen bekommen nach dem Artikel.“
Noch etwas bewirkte der Zeitungstext: Theelen und Kropp erhielten Einladungen zu Vorträgen, sie sollten doch bitte einmal die Arbeit des WEISSEN RINGS vorstellen. Auf Öffentlichkeitsarbeit folgt häufig noch mehr Öffentlichkeitsarbeit. Bei der WEISSER RING Akademie haben Theelen und Kropp das Seminar zu Presse- und Öffentlichkeitsarbeit absolviert. „Ich habe dem Seminarleiter gesagt: Ich habe Pressemitteilungen geschrieben, und die wurden dann nicht gedruckt. Was mache ich falsch?“, sagt Kropp. Der Seminarleiter antwortete: „Gar nichts, das passiert mir genauso.“
Journalisten übernehmen Pressemitteilungen normalerweise nicht einfach, sie recherchieren und schreiben selbst. So wie ja auch Außenstellen mitunter die Pressemitteilungen aus der Bundesgeschäftsstelle für ihre örtlichen Zwecke umschreiben. Eine Pressemitteilung soll der Presse etwas mitteilen.
Kriminalität geht jeden an
„Wir haben uns bei der ,Plattenkiste‘ beworben“, sagt Vera Theelen. Die „Plattenkiste“: Das ist eine Radiosendung auf NDR 1 Niedersachsen. Arbeitskollegen, Vereine, Gruppen stellen dort ihre Lieblingsmusik vor und erzählen von sich. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des WEISSEN RINGS wollen vom WEISSEN RING erzählen. „Die Musik haben wir aber noch nicht ausgesucht“, sagt Michael Kropp. „Wir müssen ja mit unseren Ressourcen haushalten“, sagt Vera Theelen. Beide lachen. NDR 1 Niedersachsen ist ein Sender, den eher reifere Menschen hören. „Wir sind halt etwas ältere Semester“, sagt Kropp.
Wer junge Menschen ansprechen will, braucht dafür junge Menschen, finden die beiden. „Wir müssen in die Schulen rein, in die Unis, in Diskotheken“, sagt Theelen, „dafür ist es wichtig, die Sprache zu sprechen, die dort gesprochen wird.“ Das können junge Menschen wie Lisa, das neue Gesicht in der Außenstelle; sie steht kurz vor dem Abitur. Theelen und Kropp sprechen eben nicht nur in Altenheimen, sie gehen gezielt auf junge Leute zu.
Kriminalität geht jeden an. Jetzt zum Beispiel, in der Corona-Krise, mehren sich die Fälle von häuslicher Gewalt. „Mich fasst das immer wieder sehr an“, sagt Theelen: „Dieses Ausgeliefertsein, diese Machtlosigkeit, dieses Erstarren vor der Gewalt. Das macht mich sprachlos.“ Kurz schweigt sie vor ihrem Bildschirm im Homeoffice.
Zum Glück nur vorübergehend. Theelen und Kropp sprudeln über vor Ideen, „wir sehen uns als Impulsgeber“, sagt Kropp. Im Moment der Corona-Krise landen die meisten Ideen zunächst in der Schublade. Aber wenn alles wieder öffnet nach dem Lockdown, dann können sie sofort losgehen und mit den Menschen sprechen. Zum Beispiel über Einschleichdiebstahl, Trickbetrug, so etwas. Die Altenheime haben sie ja längst ausgesucht. Sie halten den Kopf hin für den WEISSEN RING: Michael Kropp und Vera Theelen.
Karsten Krogmann