Berlin/Den Haag – Flüchtlinge aus der Ukraine stehen Europol zufolge europaweit besonders im Visier von Verbrecherbanden. Ihre Notlage werde von Menschenhändlern ausgenutzt, warnte die europäische Polizeibehörde nun in Den Haag. Die Banden sähen gerade Frauen und Kinder als ideale Opfer – um sie als Arbeitskräfte oder sexuell auszubeuten oder auch zum Betteln zu zwingen. Kinder könnten auch Opfer von illegalen Adoptionen werden.
Besonders gefährdet sind nach Angaben von Europol allein reisende Minderjährige. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen flüchteten bereits etwa eine Million Kinder aus dem Kriegsgebiet, darunter viele ohne Begleitung der Eltern. Europol mahnte zu besonderer Wachsamkeit an Grenzen, in Aufnahmezentren, Massenunterkünften sowie an Bahnhöfen. Dort hielten Verbrecher gezielt nach Opfern Ausschau.
Die Behörde warnte insbesondere davor, dass sich Verbrecher als hilfsbereite Bürger ausgäben und vermeintlich gratis Unterkünfte oder Transport anbieten beziehungsweise Arbeitsplätze in Aussicht stellen. Kriminelle suchten auch Kontakt über Plattformen für Flüchtlinge in den sozialen Medien. Osteuropa ist Europol zufolge seit Jahren für Menschenhändler eine Schlüsselregion. Viele Banden hätten ihre Wurzeln in Nachbarländern der Ukraine.
Erhöhte Polizeipräsenz auf Bahnhöfen
Bundesinnenministerin Nancy Faeser kündigte zuletzt an, Ukrainerinnen mit einer hohen Polizeipräsenz auf Bahnhöfen vor Menschenhändlern und Sexualstraftätern schützen zu wollen. „Jeder, der es versucht, die Not der Geflüchteten auszunutzen, sollte wissen: Auf solche Taten reagieren wir mit aller Härte des Gesetzes“, sagte die SPD-Politikerin in einem Interview. Niemand dürfe das Leid der Flüchtlinge missbrauchen. „Solche Übergriffe sind zutiefst verachtenswert.“
Es gebe daher massive Polizeipräsenz an den Bahnhöfen, in Uniform und in Zivil, so Faeser. „Alle sind sensibilisiert, jede Gefährdung sofort zu melden und einzuschreiten.“ Neben Europol warnt auch die Bundespolizei vor unseriösen oder kriminellen Angeboten an geflüchtete Frauen aus der Ukraine, die am Berliner Hauptbahnhof eintreffen.
Warnungen zeigen Wirkung
Immer wieder wurden in den vergangenen Wochen Fälle registriert, bei denen Männer ukrainischen Frauen bei der Ankunft in Berlin dubiose Wohn- oder Übernachtungsangebote machten. Die Bundespolizei kontrollierte Verdächtige und verbot ihnen den Aufenthalt im Bahnhof. Es ging um den Verdacht der sexuellen Ausbeutung, Zwangsprostitution oder des Menschenhandels.
Nach Ansicht der Polizei haben die Warnungen inzwischen Wirkung gezeigt. Der Eindruck sei, dass derartige Täter, die sich auffällig verhielten, kaum mehr zum Bahnhof kämen, sagte eine Sprecherin der Bundespolizei am vergangenen Mittwoch. Insgesamt habe es in den vergangenen zwei Wochen eine Zahl entsprechender Fälle im unteren zweistelligen Bereich gegeben.
Millionen Menschen auf der Flucht
Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine am 24. Februar hat die Bundespolizei nach Angaben des Bundesinnenministeriums die Ankunft von mehr als 230.000 Kriegsflüchtlingen in Deutschland festgestellt. Nach UN-Angaben flohen bereits mehr als 3,5 Millionen Menschen aus der Ukraine ins Ausland. Die Ukraine hatte vor Beginn des russischen Angriffs mehr als 44 Millionen Einwohner.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) wies zuletzt darauf hin, dass noch Millionen weitere Menschen vor den Kämpfen flüchten könnten. Die EU-Innenminister wollen am kommenden Montag erneut über die Aufnahme der Kriegsflüchtlinge sprechen.
Quellen:
Text: Christian Ahlers mit Meldungen der dpa
Foto: Christoph Reichwein/dpa