Mahnmal gegen geschlechtsspezifische Gewalt und Femizide

Kann Kunst Leben retten?

In der Region Osnabrück ist die Zahl der Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen zuletzt gestiegen. Am 24. Januar 2024 weiht die niedersächsische Stadt nun ein Mahnmal gegen geschlechtsspezifische Gewalt und Femizide ein, das die Taten „skandalisieren“ soll. Ein Gespräch mit Patricia Heller und Ann Kristin Schneider, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Osnabrück.

Patricia Heller, 37 Jahre, ist Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Osnabrück. Sie stammt aus Augsburg und lebt seit 2010 in der Region Osnabrück. Heller ist Mutter von drei Kindern.
(Foto: privat)

Frau Heller, Frau Schneider, glauben Sie, dass Kunst Gewalt verhindern und Leben retten kann?
Heller: Ich glaube, dass unser Mahnmal auf jeden Fall einen präventiven Ansatz hat. Es wird natürlich nicht Menschen davor retten, von Gewalt betroffen zu sein. Aber das Mahnmal zeigt das „Signal of help“, mit dem Menschen per Handzeichen unauffällig sichtbar machen können, dass sie bedroht werden und Hilfe benötigen. Das Zeichen wurde ja während der Pandemie bekannt, wenn auch nicht so bekannt, wie es wünschenswert wäre. Wir gehen davon aus, dass wir im lokalen Kontext dieses Zeichen und auch das Thema geschlechtsspezifische Gewalt bekannter machen können.

Warum bekommt ausgerechnet Osnabrück ein solches Mahnmal? Hat die Stadt ein größeres Gewaltproblem als andere Städte in Deutschland?
Schneider: Es gab im vergangenen Jahr in der Region Osnabrück zwei Femizide und einen versuchten Femizid, das ist eine alarmierend hohe Zahl. Darüber hinaus gab es in Stadt und Landkreis insgesamt relativ viele Fälle von geschlechtsspezifischer Gewalt, 2022 waren es mit 1452 Fällen fast zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Viele davon wurden medienwirksam in der Stadtbevölkerung diskutiert, ob das jetzt sexuelle Übergriffe oder Vergewaltigungen im öffentlichen nächtlichen Raum waren. Wir haben dann gesagt, diese Taten muss man irgendwie widerspiegeln und auch noch mal skandalisieren. Denn diese Gewalt ist nicht hinnehmbar.

Wie kam es von diesem Gedanken zu der Idee, ein Mahnmal gegen geschlechtsspezifische Gewalt und Femizide zu schaffen? Ich habe mal gegoogelt, Vorbilder dafür gibt es kaum.
Heller: Wir haben uns nicht an Vorbildern orientiert, aber wir haben uns schon umgeschaut. Es gibt beispielsweise die Initiative „Femizide stoppen“, die auf Instagram jeden Femizid zählt und abbildet, der in Deutschland passiert. Das geschieht im digitalen Raum, und unser Gedanke war dann: Wir möchten das im Stadtbild abbilden. Wenn wir das im öffentlichen Raum fest verankern, dann setzen sich im besten Falle auch Menschen damit auseinander, die bislang keinen Bezug zum Thema hatten. Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist kein Thema, dass irgendeine Gruppe, Einkommens- oder Altersklasse betrifft, sondern das breit durch alle Bevölkerungsschichten geht. Für die Beschäftigung damit wollten wir mit dem Mahnmal auf dem Willy-Brandt-Platz ein niedrigschwelliges Angebot machen.

Ann Kristin Schneider, 39 Jahre alt, ist stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Osnabrück. Sie ist in Osnabrück geboren und lebt dort in einer Patchwork-Familie, „mit insgesamt zwei Kindern, einem leiblichen und einem Bonus-Kind“. (Foto: privat)

In der lokalen Presse las ich, der Willy-Brandt-Platz sei als „Treffpunkt der lokalen Alkoholikerszene“ bekannt.
Heller: Es ist ein bisschen unglücklich, wie die Zeitung das dargestellt hat. So hätten wir nicht gesprochen. Wir sind froh über diesen Platz, weil er perfekt ist für unser Anliegen: Er ist sehr zentral gelegen an einer Hauptverkehrsstraße, nämlich am Osnabrücker Ring. Das heißt, wir haben relativ viel Verkehr, auch ein Fahrradweg führt dort vorbei. Zudem ist es ein Park: Es gibt da picknickende Familien, es gibt einen Spielplatz, es gibt Sportgeräte, es gibt wegen der Nähe zur Universität viele Studierende.

Schneider: Es stimmt, dass auch Personen den Park nutzen, die eine Suchterkrankung haben, weil an einem Eck dieses Parks das „Café Connection“ liegt, das Unterstützung bietet für Menschen mit Suchterkrankung. Der Platz ist also tatsächlich sehr heterogen genutzt – von Menschen, die ihn passieren, und von Menschen, die dort verweilen.

Wie haben Politik und Stadtgesellschaft auf den Plan reagiert, ein solches Mahnmal mitten in der Stadt zu errichten?
Heller: Die Reaktionen in der Politik und in unseren Netzwerken waren wohlwollend. Wir haben die Finanzmittel des Gleichstellungsbüros für die Umsetzung der Istanbul-Konvention der Europäischen Union aufgewendet, um das Mahnmal zu errichten. Konkret geht es um Artikel 14 der Konvention, Bildung und Prävention. Weil wir das Geld zur Verfügung hatten, mussten wir keinen eigenen politischen Beschluss für das Projekt einholen.

Schneider: Es gab aber auch eine kritische Stimme: Die Mittel seien besser für Prävention eingesetzt, hieß es dort, außerdem ziele ein Mahnmal in die Vergangenheit und biete deshalb keinen Mehrwert für akut von Gewalt betroffene Frauen. Wie schon gesagt: Ich sehe durchaus einen präventiven Ansatz des Mahnmals. Und ich finde, dass ein Mahnen an Vergangenes sehr wohl aktuell Menschen ermutigen kann, tätig zu werden. Nur wer der Vergangenheit gedenkt, kann sich für ein besseres Leben in Zukunft einsetzen. Aber Kritik ist absolut in Ordnung. So ein Mahnmal darf und soll auch unbequem sein.

Was sagt die Osnabrücker Stadtbevölkerung?
Heller: Das Mahnmal wird am 24. Januar eingeweiht. Wir hoffen, dass dann Reaktionen aus der Bevölkerung kommen. Das war bisher noch nicht der Fall.

Welche Reaktionen würden Sie sich denn wünschen?
Heller: Zum einen hoffen wir natürlich, dass das Mahnmal gut angenommen wird und sich Menschen noch nähere Informationen zum Thema holen. Wir haben das Mahnmal mit den prägnanten Händen, aber es gibt auch eine Infotafel, auf der Hintergründe stehen: Was ist ein Femizid? Was ist das Problem mit geschlechtsspezifischer Gewalt? Das ist ganz knapp und in einfacher Sprache formuliert, aber wer mehr möchte, findet auch einen QR-Code auf der Infotafel, von wo aus man auf eine lokale Homepage mit verschiedenen Netzwerk-Partner:innen kommt. Im besten Fall findet jemand, der selbst von Gewalt betroffen ist, hier Hilfe: An wen kann ich mich wenden? Welche Unterstützungsangebote gibt es?  

Schneider: Und dann hoffen wir, dass das Mahnmal für gewaltbetroffene Menschen die Möglichkeit bietet, sich vielleicht noch mal mit dem Erlebten auseinanderzusetzen. Und schließlich können wir das Mahnmal für Aktionstage nutzen, die jährlich in unserem Kalender stehen.

Sie denken an Tage wie den „Orange Day“, den Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen?
Heller: Zum Beispiel. Vielleicht macht man dort zu solchen Tagen eine Veranstaltung, vielleicht nutzt man die magnetische Oberfläche des Mahnmals, um weitere Informationen abzubilden. Im besten Falle nutzen das auch andere Initiativen und Vereine, die in Osnabrück aktiv sind.

Interview: Karsten Krogmann

Das Mahnmal gegen geschlechtsspezifische Gewalt wird am 24. Januar 2024 um 15 Uhr auf dem Willy-Brandt-Platz in Osnabrück, Niedersachsen, eingeweiht. Geschaffen hat das Werk die Künstlerin Irène Mélix, deren Entwurf sich in einem Ausschreibungswettbewerb der Stadt durchsetzte. Die Mittel für das rund 25.000 Euro teure Mahnmal stammen größtenteils aus dem Topf des städtischen Gleichstellungsbüros für die Umsetzung der Istanbul-Konvention, des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Gefördert wurde das Projekt zudem mit Landesmitteln für die Umsetzung der Istanbul-Konvention (CEDAW Niedersachsen).