Sie engagieren sich im Netz gegen Hassrede: Warum ist Counterspeech (Gegenrede) so wichtig?
„Aus zwei Gründen. Zum einen möchte ich zeigen, dass man sich davon nicht einschüchtern lassen darf. Meine Erfahrung ist: Wenn man offensiv und klar und mutig reagiert, verlieren die Angreifer schnell die Lust, denn man bekommt im Netz dann auch viel Zuspruch und Hilfe. Die Menschen, die anonym im Netz Hass verbreiten sind aber zumeist gewohnt, dass sie den anderen mit ihrer Hetze ruhig stellen und einschüchtern. Auf qualifizierte Gegenrede sind sie oft nicht vorbereitet und verlieren dann die Lust. Zum anderen finde ich es wichtig, dass klare Rote Linien aufgezeigt werden: Kritik ist erlaubt, auch harte Kritik. Es darf auch jeder jeden blöd finden. Aber Hassrede überschreitet eine Grenze, die auch im Netz nicht ungesehen und vor allem nicht ungeahndet bleibt. Es gibt sehr gute Organisationen wie HateAid, die da schnell und unbürokratisch helfen. Da kann eine harte Beleidigung schon mal teuer werden. Das müssen diese Leute wissen und spüren. Das Netz ist kein rechtsfreier Raum.“
Im Netz werden Sie oft selbst Zielscheibe von Hass und Shitstorms. Wie gehen Sie damit um?
„Das meiste ignoriere ich. Aus niveauhygienischen Gründen habe ich vor zwei, drei Jahren damit angefangen, Menschen und Accounts, die wiederholt beleidigen, zu blocken. Bei Accounts mit einer gewissen Reichweite docken die ja sonst immer und immer wieder an, weil sie merken, dass sie dort mehr Reichweite und mehr Aufsehen erregen. Das scheint den meisten zu gefallen, aber das unterbinde ich damit. Aber natürlich gehe ich auch hin und wieder auf Hatespeech ein. Das finde ich unerlässlich, um auch anderen zu signalisieren: Was da passiert, ist nicht richtig, wehrt Euch. Mein Stilmittel ist zumeist Ironie. Ich versuche, der Absurdität und der verachtende Haltung dieser Menschen mit Humor zu begegnen. Das trifft sie meist unerwartet. Die gehen davon aus, dass man sie entweder blockt und ignoriert, oder zurück beleidigt.
Im Netz intellektuell vorgeführt zu werden, darauf haben die meisten weniger Lust und verschwinden dann schnell. Das soll jetzt übrigens nicht heißen, dass ich besonders schlau bin und allen anderen überlegen. Im Gegenteil. Es gibt Millionen schlauerer Menschen als ich überall. Das sind aber nicht die, die im Netz auf Hass-Krawall aus sind und glauben, sie können junge Frauen unkommentiert beleidigen und herabsetzen. Da fällt es leicht, ihnen mit ein paar Sätzen aufzuzeigen, dass bei ihnen offenbar ganzjährig intellektuelle Nebensaison herrscht. Es ist ein so niedrigschwelliges Niveau, dass das sogar mir gelingt.“
Immer mehr Menschen deaktivieren wegen Hass und Hetze im Netz ihre Social-Media-Kanäle, vor allem auf Twitter. Wie beurteilen Sie das?
„Ich kann absolut verstehen, dass viele Menschen sich diesem Moloch von Hass und Hetze nicht mehr entgegenstellen möchten. Durch Corona und auch den Krieg in der Ukraine, gipfelnd in der Panik vor steigenden Energiepreisen, hat sich das Klima in den vergangenen Jahren noch mal verschärft, das seit 2015 mit der Flüchtlings-Situation ja bereits sehr viel roher und aggressiver wurde. Plötzlich ging es nicht mehr um das beste Argument und eine Diskussion darüber, sondern nur noch darum, wer am lautesten schreien kann. Und besonders laut ist natürlich die Beleidigung, vor allem, wenn man argumentativ blank ist. Das muss man aushalten können und ich respektiere jeden, der sagt, dafür müsste man mich sehr gut bezahlen, dass ich mir diesen Müll Tag für Tag reinziehe – freiwillig mache ich das nicht mehr.
Es raubt Zeit, es raubt gute Laune, es raubt den Glauben daran, dass die Menschen im Prinzip das Beste für alle wollen. Ich selbst würde allerdings nicht gehen. Ich möchte ein Prellbock sein. Ich möchte ein Fels in der Brandung sein. Ich möchte zeigen: Ihr könnt mich beleidigen, aber Ihr könnt mich nicht mundtot machen. Wenn alle sich von Hass dazu bewegen lassen würden, sich nicht mehr öffentlich zu äußern, hätte Hass plötzlich die Deutungshoheit über jeden Diskurs. Das darf uns nicht passieren.“