Hass und Hetze

Hassobjekt Frau

Viele Frauen werden im Internet beschimpft, bedroht und belästigt – weil sie Frauen sind. Die Auswirkungen sind oft verheerend. Influencerin Louisa Dellert will sich aber nicht zum Schweigen bringen lassen.

Foto: Mohssen Assanimoghaddam

Mehr als 14.000 Mädchen und junge Frauen ließ das Kinderhilfswerk Plan International im vergangenen Jahr für seinen Welt-Mädchenbericht befragen. 58 Prozent der Befragten gaben an, bereits im Internet beschimpft, belästigt oder bedroht worden zu sein. Von den etwa Tausend Befragten aus Deutschland waren es sogar 70 Prozent. Der Bericht der Hilfsorganisation macht die Ausmaße der digitalen Gewalt deutlich, die Mädchen und Frauen im Internet entgegenschlägt.

Sie unterscheidet sich nicht nur in ihrem Umfang von dem, was Männer im Netz erleben. Wie in der analogen Welt haben frauenfeindlicher Hass, Belästigungen und Bedrohungen auch online eine ganz eigene Qualität. Demütigungen und Beleidigungen, die das Aussehen von Mädchen und Frauen betreffen, fallen etwa darunter, Vergewaltigungsdrohungen, sexualisierte Belästigungen, Stalking oder unaufgefordert verschickte Penis-Bilder. Das betrifft nicht nur Frauen, die etwa als Journalistinnen oder Politikerinnen besonders in der Öffentlichkeit stehen. Davon berichteten auch die jungen Befragten des Welt-Mädchenberichts.

„Ich habe viel geweint“

So wenig wie diese digitale Gewalt vom analogen Rest der Gesellschaft losgelöst ist, sind es ihre Auswirkungen. „Ich saß Wochenenden zu Hause und habe ganz viel geweint“, sagt die Influencerin Louisa Dellert über ihre Erfahrungen mit sexistischem Hass im Netz. „Dieser eine gemeine Kommentar hat meinen ganzen Tag begleitet“, erinnert sie sich. „Weil ich traurig war, an mir gezweifelt habe und das Gefühl hatte, dass ein fremder Mensch da jetzt über mein Leben bestimmen kann.“

Influencerin Louisa Dellert will sich nicht zum Schweigen bringen lassen. Foto: privat
Influencerin Louisa Dellert will sich nicht zum Schweigen bringen lassen. Foto: privat

Mehr als 440.000 Menschen folgen der 32-Jährigen heute auf Instagram. Als sie ihren Account 2013 eröffnete, ging es dort vor allem um Fitness und Ernährung. Dann begann sie, sich zunehmend anderen, politischeren Themen zu widmen. Der Einsatz für einen nachhaltigen Lebensstil ist mittlerweile Dellerts Markenzeichen. Sie setzt sich auf ihrem Instagram-Account aber auch mit Schönheitsidealen, Sexismus und Rassismus auseinander. In Live-Videos interviewt sie Politiker wie Jens Spahn, Annegret Kramp-Karrenbauer, oder Karl Lauterbach. Dellert ist eine junge Frau mit einer lauten Stimme, einer klaren Haltung. Besonders seit sie sich feministischen Themen widme, erklärt sie, erhalte sie immer mehr Hasskommentare. Die Absender: in der Regel Männer.

Verheerende psychologische Auswirkungen

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International ließ bereits im Jahr 2017 digitale Gewalt gegen Frauen und ihre Auswirkungen untersuchen. Ein Meinungsforschungsunternehmen befragte Frauen in acht Ländern. Fast ein Viertel davon gab an, bereits Online-Missbrauch oder -Belästigung erlebt zu haben. 41 Prozent der Betroffenen erklärten, sich dabei mindestens einmal auch körperlich bedroht gefühlt zu haben.

Die psychologischen Auswirkungen frauenfeindlicher Online-Gewalt sind der Befragung zufolge oft gravierend: Mehr als die Hälfte der Betroffenen berichtete von einem verringerten Selbstwertgefühl, von Stress, Angstzuständen, Panikattacken und von Schlafproblemen. Das bestätigt auch die Berliner Rechtsanwältin Christina Clemm, die sich auf die Unterstützung von Opfern sexueller Gewalt als Nebenklageanwältin spezialisiert hat.

Sie erlebe es häufig, erklärt sie, „dass geschlechtsspezifische digitale Gewalt sowohl im sozialen Nahraum, als auch im öffentlichen Raum massive Konsequenzen für die Betroffenen hat“. Ihre Mandantinnen zögen sich zum Beispiel völlig zurück, seien eingeschüchtert und litten immer wieder unter starken Ängsten.

70 Prozent der befragten Frauen beschimpft worden

Auch die Social-Media-Plattformen verändern sich durch sexistischen Hass: Etwas mehr als drei Viertel der für Amnesty International befragten Frauen, die bereits Missbrauch oder Belästigungen im Netz erlebt haben, gaben an, ihr Nutzungsverhalten auf Social-Media-Plattformen daraufhin verändert zu haben. Der Welt-Mädchenreport 2020 kommt zu einem ähnlichen Schluss: 13 Prozent der betroffenen Mädchen und jungen Frauen gaben demnach an, die sozialen Medien weniger zu nutzen, 13 Prozent schreiben gar keine Posts mehr und 8 Prozent haben sogar die jeweilige Plattform verlassen. Hasskommentare werden so auch zu einem Machtinstrument – die Räume, in denen sich die Täter sicher fühlen, drohen noch zu wachsen.

Louisa Dellert hat mittlerweile jahrelange Erfahrung im Umgang mit den sozialen Medien – und auch mit dem Hass, der dort verbreitet wird. Sie hat sich dafür sogar coachen lassen, hat sich ein dickes Fell zugelegt. Trotzdem werde es immer Tage geben, an denen ihr Beleidigungen und Shitstorms wehtun. „Das ist menschlich und das ist normal“, sagt sie.

Louisa Dellert schreibt weiter

Eines will sie jedoch auf keinen Fall: sich zum Schweigen bringen lassen. „Ich verändere mein Posting-Verhalten überhaupt nicht“, sagt sie, „ich mache genauso weiter.“ Dabei helfe vor allem die gegenseitige Solidarität in der Netzgemeinde. „Es fühlt sich einfach gut an, wenn es da Menschen gibt, die dir sagen: ‚Hey, ich sehe dich und hey, das ist unfair und ich kann richtig fühlen, wie es dir gerade geht‘“, erklärt sie. Ihre Followerinnen ruft Louisa Dellert dazu auf, laut zu sein und auch öffentlich gegen sexistischen Hass vorzugehen. „Sonst findet so etwas immer häufiger statt und die Hemmschwelle, solche Kommentare zu schreiben, sinkt immer mehr.“

13 Prozent nutzen soziale Medien weniger

Eine funktionierende Netzgemeinde kann Betroffenen das Gefühl geben, nicht alleine zu sein. Hetzerische, beleidigende oder gar bedrohliche Inhalte zu löschen liegt jedoch im Verantwortungs-bereich der Plattform-Betreiber. Facebook, Instagram, Youtube oder Twitter – die Social-Media-Plattformen haben jeweils eigene Richtlinien, müssen sich darüber hinaus nach geltenden Gesetzen richten. Längst nicht immer kommen die Plattformen ihrer Verantwortung dabei ausreichend nach, auch wenn frauenfeindlicher oder anderer Hass von Nutzerinnen gemeldet wird.

Hass kann strafbar sein

Viele Hasskommentare oder E-Mails verstoßen nicht nur gegen die Richtlinien von Social-Media-Plattformen, sondern überschreiten auch die Schwelle der Strafbarkeit. Meistens gehe es dabei um Beleidigungen, Bedrohungen, Stalking oder Nötigung, erklärt Anwältin Christina Clemm. „Häufig aber werden auch heimlich angefertigte Aufnahmen oder einvernehmlich aufgenommene intime Bilder gegen den Willen der Betroffenen veröffentlicht.“

Sie empfiehlt in solchen Fällen, die Nachrichten zunächst digital zu sichern, also etwa Screenshots von ihnen zu machen. „Dann können Betroffene Strafanzeigen erstatten. Oft funktioniert dies am besten über eine Anzeige im Internet.“ „Selbstverständlich gibt es das große Problem, dass digitale Gewalt häufig anonym erfolgt und auch über Server, die die Herkunft verschlüsseln“, sagt die Anwältin. Sie sei jedoch überrascht, wie oft Täter unter ihrem Klarnamen posten, oder E-Mail-Adressen benutzen, durch die sie identifiziert werden können.

Auch Louisa Dellert bringt immer wieder Hasskommentare zur Anzeige. Die Screenshots der Nachrichten leitet sie jedoch nicht direkt an die Polizei weiter, sondern online an die Organisation HateAid. Die überprüft, ob wahrscheinlich eine Straftat vorliegt, und übernimmt nicht nur die Anzeige, sondern gegebenenfalls auch das weitere juristische Vorgehen. Für die Betroffenen von Hass im Netz ist das kostenlos, die Organisation finanziert ihre Arbeit dadurch, dass erstrittene Schmerzensgelder an sie gespendet werden.

Felix Huesmann