Mainz – Die Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer WEISSER RING lehnt die von der Bundesregierung geplante Video-Dokumentation von Strafprozessen ab. „Das Bundesjustizministerium hat bei seinen Plänen offenbar die Opfer vergessen“, sagte der Bundesvorsitzende des WEISSEN RINGS, Patrick Liesching, der Deutschen Presse-Agentur in Mainz.
„Für Opfer ist die Aussage vor Gericht schon jetzt eine schwere Belastung. Künftig sollen sie sich aber nicht nur dem Angeklagten, seinen Strafverteidigern und der Öffentlichkeit aussetzen, sondern auch noch drei Kameras“, kritisierte Liesching, der auch Staatsanwalt in Fulda ist. „Die Opfer müssen damit rechnen, dass ihnen jede Gestik, jede Mimik, jede Unsicherheit immer wieder vorgehalten wird“, gab der Jurist zu Bedenken. „Ihre Verletzlichkeit wird auf Dauer konserviert – und findet sich im schlimmsten Fall vielleicht sogar auf Youtube wieder.“
Liesching: „Einschüchterung von Opferzeugen“
Dem Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium zufolge sollten Strafprozesse künftig in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Die Dokumentation müsse gemäß der Strafprozessordnung allen Verfahrensbeteiligten zugänglich gemacht werden und dies könnten bei großen Prozessen „Dutzende Personen“ sein, gibt der WEISSE RING zu Bedenken. „Im Fall einer unerlaubten Weitergabe der Bilder ließe sich der Täter kaum ermitteln.“
„Das kommt einer Einschüchterung von Opferzeugen durch Verfahrensregeln gleich“, kritisierte Liesching. Damit sei auch das Argument des Ministeriums hinfällig, die Dokumentation verbessere die Wahrheitsfindung. „Ein eingeschüchterter Zeuge ist kein guter Zeuge.“
Vereinbarung im Koalitionsvertrag
Der WEISSE RING befürchtet eine „weitere Machtverschiebung zulasten der Opfer“ im Strafverfahren. Denn: Ein Angeklagter kann vor Gericht die Aussage verweigern – ein Opferzeuge dürfe dies aber nicht. „Die geplante Video-Dokumentation ist ein Geschenk an Konfliktverteidiger und wird zur Verzögerung und Verkomplizierung der oft ohnehin schon komplexen Verfahren führen.“
Das Bundesjustizministerium hat den Referentenentwurf „für ein Gesetz zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung“ Ende November an die Verbände und Länder übermittelt. Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, solle die Hauptverhandlung in Bild und Ton aufgezeichnet werden, hatte Minister Marco Buschmann (FDP) dazu gesagt. Die automatisierte Übertragung der Tonaufzeichnung mittels einer Transkriptionssoftware in ein Textdokument sei auch zentraler Bestandteil des Entwurfs.
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Text: dpa
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