Wann ist in Deutschland der Einsatz der elektronischen Fußfessel zur Aufenthaltsüberwachung zulässig?
Damit eine elektronische Aufenthaltsüberwachung angeordnet werden kann, muss ein verurteilter Straftäter der sogenannten Führungsaufsicht unterliegen. Das tritt automatisch ein, sobald eine mindestens zweijährige Haftstrafe verbüßt wurde und keine andere Maßregel (etwa Sicherungsverwahrung) angeordnet ist. Im Falle einer Verurteilung wegen Sexualdelikten reicht hier eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr (Paragraf 68f Strafgesetzbuch). Zudem muss die Gefahr bestehen, dass weitere Straftaten begangen werden könnten (Paragraf 68b Strafgesetzbuch).
Welche rechtlichen Hürden sehen Sie, die elektronische Fußfessel auch nach häuslicher Gewalt – zur Kontrolle – einzusetzen?
Da die Anordnung einer elektronischen Überwachung sehr stark in die Grundrechte der betroffenen Person eingreift, müssen die Gründe dafür besonders gewichtig sein. Genau aus diesem Grund sind die Anforderungen nach dem Strafgesetzbuch relativ hoch. Die bisherigen Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz erfordern geringere Voraussetzungen: Hier genügt eine einmalige Verletzung und eine „Erforderlichkeit“ der Maßnahme, also dass es kein milderes Mittel gibt, das denselben Zweck erfüllt. Die größte rechtliche Hürde wird also sein, dass der Gesetzgeber nach grundrechtlicher Abwägung sicherstellt, dass hier nicht aufgrund des Gewaltschutzgesetzes zu stark in Grundrechte eingegriffen wird – möglicherweise müssen hier die Voraussetzungen angepasst werden.
Welche Möglichkeiten gibt es aus Ihrer Sicht, um die elektronische Fußfessel im Kontext häuslicher Gewalt rechtssicher zu regeln?
Eine Regelung im Text des Gewaltschutzgesetzes ist denkbar. Paragraf 1 der Vorschrift regelt bereits die Zulässigkeit von gerichtlichen Anordnungen – die Möglichkeit einer Fußfessel wäre hier gewissermaßen ergänzend. Wichtig ist aber vor allem, dass immer nur Gerichte diese Anordnung treffen dürfen, weil hier eben erheblich in Grundrechte eingegriffen wird – insbesondere, wenn sogar der zeitliche und räumliche Rahmen erweitert werden soll.
Man hat den Eindruck, dass hier vor allem der Datenschutz gegen den präventiven Einsatz der Fußfessel spricht. Müsste der Opferschutz nicht vor dem Datenschutz stehen – auch juristisch?
Der Datenschutz ist ein Teil des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Er ist damit in der Abwägung das zentrale Grundrecht, auf das sich der Täter berufen kann. Darin darf nur verfassungsrechtlich gerechtfertigt eingegriffen werden. Auf der anderen Seite steht unter anderem das Recht der körperlichen Unversehrtheit des potenziellen Opfers, also der Opferschutz. Der Datenschutz überwiegt dieses Recht nicht per se, aber es müssen dennoch ausreichende Gründe für eine Einschränkung gefunden werden. Ob die Kriterien des Gewaltschutzgesetzes dem schon genügen, darüber lässt sich juristisch schon diskutieren – wahrscheinlich müssen hier die Voraussetzungen angepasst werden.
Spanien setzt zur Prävention elektronische Fußfesseln ein. Dabei tragen sowohl der Mann als auch die Frau ein elektronisches Gerät, das Alarm schlägt, wenn ein festgelegter Abstand unterschritten wird. Warum erlaubt die derzeitige Rechtslage das nicht auch in Deutschland, und wie ließe sich das ändern?
Soweit ersichtlich könnten solche Fußfesseln die Abwägung zugunsten der Opfer erleichtern, sofern sie den Aufenthalt der potenziellen Täter nicht dauerhaft rückmelden, sondern nur dann, wenn ihr Radius mit dem der anderen Fußfessel „kollidiert“. Außerdem muss hier bedacht werden, dass das Opfer damit einverstanden sein muss, ein solches Gerät zu tragen – schließlich ist ja sein Persönlichkeitsrecht auch berührt, wenn man jederzeit geortet werden kann. Im Übrigen wird sich an den rechtlichen Grundfragen durch diese Alternative allerdings vermutlich nicht viel ändern.
Christoph Klemp
Die Recherche im Überblick:
Lebensrettende Fußfessel: Wie der Staat Frauen besser vor Gewalt schützen kann
ADIÓS, MACHOS! So funktioniert die elektronische Aufenthaltsüberwachung in Spanien
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LKA Hamburg: „Klare Grenzen“ beim Einsatz der Fußfessel
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