Hass und Hetze

Ein Anruf bei … Enno Saathoff

Unter dem Titel „Dammbruch“ berichtete unser Reporter Karsten Krogmann in Ausgabe 01/2021 über das Ehepaar Saathoff, das an der ostfriesischen Nordseeküste einen Campingplatz betreibt. Im Zuge der Coronakrise führten die beiden für ihre Gäste die Nutzung der offiziellen Warn-App verpflichtend ein – und wurden dafür mit Hassnachrichten und Morddrohungen überhäuft. Sogar die gemeinsamen Kinder wurden bedroht.

Foto: privat

Herr Saathoff, an der ostfriesischen Küste ist es in diesen Tagen windig, kalt und regnerisch. Da braucht doch kein Mensch einen Campingplatz am Nordseedeich, oder? Wie läuft das Geschäft?
Natürlich braucht man einen Campingplatz, ganz besonders in Ostfriesland und besonders in dieser Jahreszeit! Es ist ja an vielen Orten auf der Welt schön, aber hier ist es noch schöner, gerade jetzt. Wenn man spazieren geht, ist man viel für sich allein unterwegs, da kann man innere Einkehr machen. Der Wind pustet einem dabei Verstand ein. Und Sturm ist bei uns ja erst, wenn die Schafe keine Locken mehr haben. Aber was das Geschäft angeht: Wir betreiben keinen Campingplatz mehr, wir haben unseren Platz verkauft.

Warum das denn?
Vor drei Jahren erlitt meine Frau einen Augeninfarkt und konnte nicht mehr gucken. Das ist alles wieder gut, sie kann sich jetzt wieder auf beiden Augen über mein tolles Aussehen freuen. Aber damals haben wir den Augenarzt gefragt, woran das liegen könnte. Und er hat gesagt: Stress. Gegen negativen Stress kann man nur etwas tun, wenn man die Ursache beseitigt. Deshalb haben wir den Campingplatz verkauft.

Als wir vor dreieinhalb Jahren miteinander sprachen, hatten Sie gerade die zweite Corona-Saison hinter sich. Aber nicht nur das: Sie hatten entschieden, aus Seuchenschutzgründen nur Besucher mit installierter Corona-Warn-App auf Ihren Platz zu lassen – und erhielten dafür Hunderte Hassnachrichten, schlechte Bewertungen im Internet und sogar Morddrohungen. War das die Ursache für den Stress?
Dass mich die Absender der Hassnachrichten mit Bundeskanzlerin Merkel auf eine Stufe stellten, fand ich noch ganz schmeichelhaft – bis ich weiterlas und sah, wir gehörten beide erschossen. Aber schlimmer fand ich, dass auch meine Kinder bedroht wurden. Meine Frau hat versucht, sich weitgehend rauszuhalten aus der Sache. Aber man kann sich nicht raushalten, wenn die Leute bei einem zu Hause anrufen und man den Kindern verbieten muss, ans Telefon zu gehen. Wir haben dann gesagt, wir hören auf mit dem Campingplatz. Wobei der Stress ja eigentlich nicht vom Platz kam, sondern von diesen Leuten, die uns schrieben und anriefen. Die hießen übrigens nicht Abdul oder Ismael oder Mohammed, die hatten alle deutsche Namen.

Damals fragte ich Sie, ob Sie nach dieser Erfahrung mit Hass und Hetze die Entscheidung mit der Corona-App noch einmal treffen würden. Ihre Frau sagte sofort: „Nein!“, Sie sagten trotzig: „Doch!“ – aber ich schrieb, ganz glaubwürdig klängen Sie dabei nicht. Wie lautet Ihre Antwort heute?
Meine Frau sagt immer, ich bin stur. Ich sage immer: Ich bin nicht stur, ich bin zielstrebig. Ja, ich würde es wieder machen.

Den offiziellen Zahlen zufolge, aber auch nach meinem subjektiven Eindruck nimmt Hasskriminalität weiter zu. Wie sehen Sie das?
Haben Sie das gerade mitbekommen? Meine Frau hört uns ja zu, und sie rief: „Ja! Ja! Ja!“ Ein Wort im Internet kann schlimmer sein als ein Peitschenhieb. Was mir aber auch aufgefallen ist: Ich bin ja schon lange Rentner, aber ich fahre manchmal Taxi – und auch da haben Aggressivität und Kriminalität merklich zugenommen. Bei bestimmten Feierlichkeiten und Veranstaltungen gibt es immer Ärger, die Polizei muss jedes Mal kommen. Der eine greift mir besoffen ins Lenkrad, ein anderer tritt mir den Spiegel ab, und wie diese Leute mit den Polizisten umgehen, da gibt es offenbar keine Hemmungen mehr.

Apropos Polizei: Ich fragte Sie und Ihre Frau 2021 auch, ob Sie sich und Ihre Familie als Opfer von Hass und Bedrohung hinreichend vom Staat und seinen Organen geschützt fühlten. Ein doppeltes „Nein“ war die Antwort. Wie beurteilen Sie das heute?
Die härtesten Bedrohungen wegen der Corona-App hatte ich bei der Polizei angezeigt. Ich habe die Nachrichtenabgegeben, sie wurden aufgenommen – und irgendwann kam dann jedes Mal der Bescheid: „Verfahren wurde eingestellt“. Vor einiger Zeit habe ich mit dem Taxi Gäste zu einer Kneipe gefahren. In dieser Stadtdarf ich keine Fahrgäste aufnehmen, weil sie nicht zum Kreis gehört. Ein Typ stieg ein, ich erklärte ihm, dass ich ihn nicht fahren darf. Er fing Streit an, beleidigte mich, stieg aus und knallte die Beifahrertür zu. Dann riss er meine Fahrertür auf und schlug mir ins Gesicht. Ich wurde am Auge verletzt. Auch das habe ich angezeigt. Nach 14 Tagen hieß es wieder: „Verfahren wurde eingestellt“. Man ist schon ziemlich allein.

Trotz all dem sind Sie ein auffallend gut gelaunter Mensch. Sie haben keinen Campingplatz mehr, manchmal fahren Sie Taxi … was machen Sie ansonsten den ganzen Tag dort oben bei Regen und Wind am Nordseedeich?
Meine älteste Tochter ist 27 und macht gerade ihren Master als Lehrerin. Sie hat einen Sohn, meinen Enkel. Die zweite Tochter ist 16 und mitten in der Pubertät, aber sie hat einen sehr netten Freund. Die dritte Tochter ist zehn, die vierte sechs. Damit hat sich die Frage erledigt, oder?

Karsten Krogmann

Zum Weiterlesen: Der Text aus dem März 2021