Hass und Hetze

Ein Anruf bei … Andreas Hollstein

Unter der Überschrift „Auf dem Platz“ begleitete „Stern“-Autor Marc Bädorf die junge Schiedsrichterin Lisa Glowatzki für eine Reportage zu einem Spiel in der Bezirksliga Westfalen und beobachtete, was für ein rauer Ton dort herrscht. Die heute 28-Jährige sagte damals, man müsse angesichts von zunehmender Gewalt und Beleidigungen schon überlegen, ob es einem noch Spaß macht. Wir haben noch mal nachgefragt.

Foto: Dominik Butzmann

Sie waren von 1999 bis Ende 2020 Bürgermeister in Altena in Westfalen. Im November 2017 wurden Sie von einem Einwohner der Stadt abends auf dem Nachhauseweg in einem Döner-Imbiss mit einem Messer attackiert. Vermutlich nur dank des beherzten Eingreifens der türkischen Imbiss-Inhaber haben Sie überlebt. Der Täter – er bekam zwei Jahre Haft auf Bewährung – hatte Sie als Bürgermeister für seinen sozialen Abstieg verantwortlich gemacht. Sind Sie ihm je wieder begegnet in der Kleinstadt, in der Sie noch heute leben?
Ja, im Vorbeigehen. Es war ein paar Wochen nach Abschluss des Verfahrens. Schön ist so was nicht – besonders wenn Sie wissen, dass der Täter laut Gutachter um ein bis zwei Millimeter meine Halsschlagader mit seinem 30 Zentimeter langen Messer verfehlt hat. Ich hatte in den Monaten nach der Tat drei Hörstürze. Ein guter Freund aus der Feuerwehrseelsorge hat mir, neben meiner Familie, mit Gesprächen sehr geholfen. Der Täter von damals hätte nach Meinung vieler Beobachtender härter bestraft werden müssen.

Was machen Sie aktuell, nachdem Ihre Amtszeit in Altena 2020 endete und Sie danach bei der Oberbürgermeisterwahl in Dortmund knapp scheiterten?
Ich kümmere mich als Geschäftsführer des Verbandskommunaler Unternehmen in Nordrhein-Westfalen mit fünf Mitarbeitern um die kommunalen Stadtwerke. Das sind 340 Unternehmen, von der großen Rheinenergie bis zu vielen Kleinen. Das Thema Energiewende reizt mich sehr. In den ersten freien Monaten bis zur heutigen Aufgabe habe ich Ahnenforschung betrieben und einen Kriminalroman geschrieben – über einen Bürgermeister, der in Polen einen Kriminalfall löst. Das Buch steht aber noch im Regal zu Hause. Nur meine Frau Claudia kennt es.

Sie sprachen nach dem Messer-Angriff auf Sie in unserem Text aus dem Jahr 2021 von „digitalen Brunnenvergiftern“ und von einer wachsenden Zahl Menschen, die sich in einer Nische eingerichtet hätten und „ihre Eigeninteressen zum Daseinszweck erhoben haben“. Wie bewerten Sie das heute?
Das hat sich leider verschärft. Die Tabu-Brüche werden größer, teilweise ekelig. Verdrehung und Lüge in sozialen Medien werden gesellschaftsfähig. Wenn Menschen Eigeninteressen haben, sollten sie sich offen zu ihren persönlichen Interessen bekennen und nicht andere –das Volk, die Gesellschaft, den Wähler oder den angeblich besorgten Bürger – vorschieben. Das ist verlogen.

Als langjähriger Bürgermeister und CDU-Politiker gehören Sie zu denen, die Diskussion und Austausch über die Lager hinweg für den besten demokratiefördernden Weg halten. Ist das, bezogen auf die heutige Zeit, nicht eher romantisch oder naiv?
Wir müssen zuallererst Menschen durch Argumente zum Nachdenken bringen, jedem Bürger mit Achtung begegnen, auf andere eingehen, auch wenn es schwerfällt. Und wir müssen alle wieder mehr zuhören. Dazugehört auch, dass es ein gutes Signal wäre, wenn es zwischen den Volksparteien – wozu ich CDU, CSU,SPD, FDP und Grüne zähle – wieder mehr Brückengäbe. Das gilt nicht nur, aber auch für die Frage, wie wir eine gute Einwanderungspolitik machen. Dafür müssen wir in Afrika aktiver werden. Wir müssen dort unser Geld investieren in Menschen und deren gute Ausbildung, in Sprache, in Demokratie und deren Aufbau und Funktionsweisen. Das ist näher an den Leuten, die am Ende dort bleiben oder doch woanders hinwollen. Und es ist vor allem auch besser und billiger als die Reparaturwerkstatt, die wir bei uns eingerichtet haben für Leute, die woanders herkommen und hier bei uns Flickschusterei und einer diffusen Rechtsauslegung ausgesetzt sind. Miteinander sprechen und gemeinsame Lösungen finden ist der gangbarste Weg – egal ob hier oder auf anderen Kontinenten. Wenn ich in unser Landschaue, dann kann ich klar sagen: Ich teile nichts, was AfD und BSW machen, und würde nie mit denen koalieren, aber sprechen. Nur mit Politikern wie Björn Höcke würde ich nicht mal reden. (Anm. der Redaktion: Höcke ist AfD-Chef in Thüringen, er darf laut Gerichtsurteil als Faschist bezeichnet werden.)

Dirk Lübke

Zum Weiterlesen: der Beitrag aus dem Jahr 2021