„Das würde mir nicht passieren“ – wenn Johannes Duda diesen Satz hört, kann er nur mit dem Kopf schütteln. Immer wieder kommt der. Zum Beispiel von Teilnehmenden der Präventionsveranstaltungen, bei denen er über Betrugsmaschen und Tricksereien aufklärt. Den besten Beweis dafür, dass niemand so genau sagen kann, ob er oder sie nicht doch einmal auf Betrüger reinfällt, hat Duda seit vergangenem Jahr an der Hand. Denn da ist es ihm selbst passiert.
Vor ihm liegen die Unterlagen ausgebreitet. Die Notizzettel, auf denen er aufgeschrieben hat, wann ihn welche Nummer angerufen hat. Die Google-Play-Karten, die er gekauft hat und die jetzt wertlos sind. Die Anzeige, die er bei der Polizei aufgegeben hat. Und die Nachricht über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens – ohne Ergebnis.
„Ihr Geld ist auf dem Weg, aber…“
Es war Anfang 2022, als sein Telefon klingelte und ein Herr Lauterbach am anderen Ende verkündete, Johannes Duda habe bei einem Gewinnspiel 49.000 Euro gewonnen. Das Geld sei auf dem Weg, sagte der nette Mann, der Bote aber müsse bezahlt werden. Bargeld dürfe er allerdings nicht annehmen, sondern nur Google-Play-Guthabenkarten. Die gibt es im Super- oder Drogeriemarkt an der Kasse zu kaufen, im Wert von bis zu 500 Euro.
Zwei solcher Karten sollte Johannes Duda also besorgen, um den Boten zu bezahlen. Als der 74-Jährige damit vom Drogeriemarkt zurückkam und wieder mit dem Mann telefonierte, forderte ihn dieser auf, den Code auf den Rückseiten der Karten freizurubbeln und durchzugeben. Was Johannes Duda zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Mit der Buchstaben-Zahlen-Kombination des Codes kann sein Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung den Gutschein einlösen.
„Das ist schon großer Mist, dass mir das passiert ist – in meiner Funktion“, sagt Duda und schüttelt wieder einmal den Kopf. Seine Funktion: Seit 16 Jahren leitet er die Außenstelle des WEISSEN RINGS im Kreis Coesfeld, insgesamt 36 Jahre engagiert er sich dort schon ehrenamtlich. Eigentlich kennt er allerhand Betrugsmaschen. Weiß auch, dass man am Telefon vorsichtig sein muss. Und dass die Betrüger und Betrügerinnen sich immer wieder etwas Neues einfallen lassen, um ihren Opfern das Geld aus der Tasche zu ziehen.
Geordnet, pflichtbewusst, mit trockenem Humor
Nach so langer Zeit, sagt er, gebe es kaum ein Delikt, mit dem er noch nicht zu tun gehabt habe. Begonnen hat sein Engagement mit der Sendung „Aktenzeichen XY: ungelöst“. Die Fälle und deren Aufarbeitung haben ihn immer interessiert – und auch die Möglichkeit, den Betroffenen zu helfen. Beruflich hatte er nie mit Kriminalität zu tun: Johannes Duda ist gelernter Groß- und Außenhandelskaufmann. Zuletzt arbeitete er im medizinischen Krankenhausarchiv im Kreis und half bei der Digitalisierung der Krankenakten. Er komme auf 51 Berufsjahre, betont er. Wer könne das heute schon noch von sich behaupten?
Ein bisschen ist Johannes Duda so, wie sich eine Zugezogene einen typischen Westfalen vorstellt. Geordnet, pflichtbewusst, mit trockenem Humor. „Keiner da“, ruft es nach dem Läuten von drinnen, bevor er die Haustür öffnet. Duda lebt in einem Reihenhaus in Nottuln, einer 20.000-Einwohner-Gemeinde im Kreis Coesfeld nahe Münster. Auf dem Weg ins Dachgeschoss, wo er sich sein Büro eingerichtet hat, geht es an einem besonderen Zimmer vorbei: dem mit der Musiksammlung. Schallplatten und CDs füllen mehrere Wandregale. Darunter die Beatles, Abba, James Last – und die Amigos. „Das erfolgreichste Gesangsduo Europas“, sagt Johannes Duda, „und Botschafter des WEISSEN RINGS!“
Die Musik ist für ihn ein guter Ausgleich zur Außenstellenleitung. Genauso wie sein weiteres Ehrenamt: Er übernimmt Fahrdienste für Menschen mit Behinderungen, von deren Wohnung zur Werk-statt, in der sie arbeiten. „Ich wollte auch mal was anderes sehen“, sagt er dazu. Etwas, das nichts mit Kriminalität zu tun hat.
„Ich kann das einfach nicht nachvollziehen.“
Denn nicht immer ist es leicht, die Dinge, die er beim WEISSEN RING mitbekommt, hinter sich zu lassen. Immer wieder hat er erlebt, wie Ehrenamtliche irgendwann das Handtuch geworfen haben, weil die Geschichten derer, die sie betreut haben, sie nicht losgelassen haben. „Wenn ich meine Haustür hinter mir schließe, muss ich das, was ich erfahren habe, draußen lassen“, sagt er. Aber: „Das war auch ein Lernprozess.“
Doch auch wenn er sagt, dass es ihm gut gelingt, die Erfahrungen anderer nicht zu sehr an sich heranzulassen, scheint es doch etwas mit ihm zu machen. Den Eindruck gewinnt man, wenn man ihm dabei zuhört, wie er von Fällen aus der Umgebung erzählt. Dabei deutet er immer wieder aus dem Fenster – nicht auf ein bestimmtes Haus, eher in eine Richtung. Dort hinten sei das gewesen, wo ein Junge für Sex bezahlt wurde. Und da – an einem Ort, der in einer anderen Richtung liegt – gebe es Gewalt in einer Beziehung, einer der Beteiligten wisse nicht, wie das zu lösen sei. Und dann die Frau, die im Altenheim von einem Pfleger missbraucht wurde. Immer wieder Kopfschütteln. Und immer wieder derselbe Satz: „Ich kann das einfach nicht nachvollziehen.“ Es scheint wie ein Lernprozess, der nie ganz abgeschlossen sein wird.
Die Details einer Straftat wolle er oftmals lieber nicht so genau wissen. Das helfe ihm, das alles nicht zu nah an sich heran zu lassen. Im vergangenen Jahr habe er hauptsächlich mit Betroffenen von Sexualstraftaten zu tun gehabt. Nicht alle würden Anzeige erstatten, weil dadurch für sie „vieles ins Rollen“ kommen würde. Auch Scham sei immer wieder ein Thema, das sei verständlich, meint Duda.
Pragmatischer Umgang mit eigener Betrugsgeschichte
Sein eigener Fall, der Google-Play-Karten-Betrug, ist da ganz anders gelagert: Ein paar Tage nachdem er dem unbekannten Anrufer die Gutschein-Codes durchgegeben hatte, rief dieser erneut an. Es habe einen Zahlendreher gegeben. Statt 49.000 habe er 94.000 Euro gewonnen. Um das Geld zu bekommen, solle er erneut eine 500-Euro-Karte besorgen. „Da wusste ich, dass da etwas nicht stimmt“, sagt Duda. Er ging direkt zur Polizei – auch wenn ihm bewusst war, dass die bei solchen Taten wenig tun kann.
Heute sagt er: „Ich wusste nicht, was Google-Play-Karten sind. Hätte ich das gewusst, wäre es mir vielleicht schon früher komisch vorgekommen.“ Die 1.000 Euro, die jetzt weg sind, hätten wehgetan. Doch er geht mit seiner Erfahrung pragmatisch um und behält sie nicht für sich. Stattdessen spricht er offen darüber – mit der Familie, im Freundes- und Bekanntenkreis und auch bei Veranstaltungen des WEISSEN RINGS. Es beschäftigt ihn, dass immer wieder vor allem ältere Menschen Opfer von Betrügereien werden.
Wie viele es sind, dazu gibt es keine klaren Zahlen. In der Polizeilichen Kriminalstatistik fallen Anrufmaschen wie Enkeltrick, Schockanrufe, falsche Polizisten oder falsche Gewinnversprechen allgemein unter „Sonstigen Betrug“. Nicht jedes Bundesland erfasst Informationen zu diesen Straf-taten genauer. Zudem tauchen viele davon nicht in der normalen Statistik auf, weil die Täter und Täterinnen häufig im Ausland sitzen. Und nicht jedes Opfer wendet sich an die Polizei. Aus den Zahlen der Polizei geht hervor, dass es bei einem großen Teil der Taten beim Versuch bleibt. Die Aufklärungsquote allerdings ist einstellig und die Schadenssummen zum Teil enorm – allein in NRW lag der Schaden 2021 bei etwa 30,3 Millionen Euro, der durch „vollendete Inlands- und Auslandsstraftaten zum Nachteil älterer Menschen“ entstanden ist, unter die der Anrufbetrug zählt.
Einstellige Aufklärungsquote
Die Polizei warnt und gibt Hinweise, wie man sich schützen kann. Johannes Duda kennt diese Tipps. Er weiß, was zu tun ist, wenn die EC-Karte gestohlen wurde: „Nicht nur bei der Bank sperren lassen, sondern auch durch die Polizei.“ Die Bank sperrt nämlich nur für PIN-basierte Kartenzahlungen, die Polizei hingegen kann eine sogenannte Kuno-Sperrung auslösen. Kuno steht für „Kriminalitätsbekämpfung im unbaren Zahlungsverkehr unter Nutzung nichtpolizeilicher Organisationsstrukturen“, die Sperrung der Karte wirkt dann für sämtliche Zahlungen. Duda weiß, was bei der Masche der falschen Polizisten alles nicht stimmt: „Auf dem Display des Telefons wird niemals die 110 angezeigt.“ Der 74-Jährige empfiehlt: „Bei unbekannter Nummer nie mit Namen melden, nicht zurückrufen, nicht ‚Ja‘ sagen.“
Nun kennt er sich eben zudem noch mit dem Betrug rund um Google-Play-Gutscheine aus. Wegen seiner eigenen Erfahrung und auch, weil es Maschen wie den Enkeltrick so lange gibt und immer wieder Menschen Geld verlieren, ist Duda überzeugt: Niemand sollte sich zu sicher sein, dass es ihm oder ihr nicht doch auch einmal selbst passiert.
Carolin Scholz