Burgenlandkreis

Kornelia Fröde will „Menschen wie meiner Mutti helfen“

Beim Sport haben sich ­Kornelia Fröde und Thomas Karius ­kennengelernt, heute betreibt das Paar eine Kampfkunstschule und leitet seit Kurzem die Außenstelle im Burgenlandkreis.

Foto: Laura Herfurth

In ihrer Kindheit war Gewalt keine Seltenheit, erinnert sich Kornelia Fröde. Nicht gegen sie selbst, aber sie habe sie beobachtet. Und das über viele Jahre. Die Gewalt sei von ­ihrem Vater ausgegangen, erzählt Fröde. Er habe ihre Mutter regelmäßig geschlagen. „Als Kind will man das nicht wahrhaben und versucht es wegzuschieben“, ­erinnert sie sich, „wir haben immer heile Familie ­gespielt.“

Die Familie lebte inmitten einer Wohngegend. Häuser links und rechts und gegenüber. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass niemand jemals etwas mitbekommen hat“, sagt Fröde heute. Schon damals merkte sie, dass Menschen oft keine Hilfe bekommen und viele lieber wegschauen. Und schon als Kind sagte sie zu sich selbst: „Dir passiert so etwas nie!“

Als Kornelia Fröde 15 Jahre alt war, schaffte ihre Mutter den Absprung: Sie verließ ihren Mann und flüchtete in ein Frauenhaus. Mehrere Monate lebten sie dort, bis sie eine eigene Wohnung bekamen.

Diese frühe Erfahrung ist ein Grund, weshalb Kornelia Fröde mit der Kampfkunst begonnen hat. Und auch die Arbeit als neue Außenstellenleiterin des WEISSEN RINGS im Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt hat damit zu tun. „Das Frauenhaus unterstütze ich auch heute noch ­finanziell, aber ich wollte immer auch aktiv etwas für die Opfer von Gewalt tun“, sagt die 42-Jährige.

Kurz vor dem Gespräch sitzt sie gemeinsam mit ihrem Verlobten Thomas Karius auf den weichen Matten ­ihrer Kampfkunstschule in Lützen, beide trainieren hier den chinesischen Kung-Fu-Stil Wing Tsun. Am ­Tablet ­planen sie die Kurse für das neue Jahr. An der Wand ­hängen Schwarz-Weiß-Fotos von Kampfkunst­meistern. Auf Aushängen sind einige der Grund­bewegungen des Wing Tsun abgebildet. Eine Holzpuppe, Stöcke und Trittpolster zum Trainieren stehen und liegen bereit. Ein großflächiger Spiegel nimmt fast die ganze Wand ein. Vor ihm lernen vor allem Frauen das Schreien und sich dabei Anschauen. „Es ist eine Kampfkunst von Frauen für Frauen“, sagt Kornelia Fröde. Angeblich hat sie sich eine Chinesin angeeignet, um sich gegen einfallende Soldaten zur Wehr setzen zu können. Es geht vor allem um Selbstverteidigung und darum, einen potenziellen Angreifer auch mit wenig Kraft abwehren zu können. Schwer vorstellbar, aber je stärker der Gegner, desto besser für die angegriffene Person, sagt Fröde. Denn beim Wing Tsun arbeitet man mit der Kraft des anderen und setzt sie gegen ihn ein.

Vor acht Jahren haben sie sich beim Sport kenngelernt. „Konni hat meine Turnschuhe für mich getragen, weil ich so schwer beladen war“, sagt Thomas Karius und ­lächelt. Der gebürtige Stuttgarter kam 1999 nach ­Leipzig und macht seit 15 Jahren Kampfsport. Als Kind war er klein und schmächtig und wurde in der Schule oft auf­gezogen. Bis er zum Wing Tsun kommt, lernt er fünf Jahre Judo und zwei Jahre Karate. Bei einem ­Probetraining gibt ihm der Trainer drei Kettenfauststöße auf seine Brust. „Da wusste ich, das will ich lernen“, sagt der 52-Jährige.

Heute leben sie in einer Wohnung unweit der Kampfkunstschule. Der Sport nimmt viel Zeit in ihrem Leben ein und verbindet: Laufen, Kraftsport, Windsurfen, lange Spaziergänge mit den zwei Hunden und ihr neues Hobby Motorradfahren.

Zu den Kursen in der Kampfkunstschule kommen auch Frauen und Mädchen, die Opfer von Gewalttaten sind. Zum Beispiel zwei junge Mädchen, die vergewaltigt wurden. Eine war unsicher und schüchtern und trug immer sehr weite Sachen. „Sie hat ihre Weiblichkeit komplett versteckt“, sagt Kornelia Fröde. Zum Ende des Kurses traute sie sich, beim Sport wieder bauchfreie Tops zu tragen. Das andere Mädchen hatte Angst, allein Bus zu fahren. In Rollenspielen, in denen Thomas Karius den Angreifer spielte, lernte sie sich zur Wehr zu ­setzen. Am Ende des Kurses sogar im Bus mit anderen Fahrgästen.

Die Frauen und Jugendlichen trainieren in der Kampfkunstschule nicht nur die Selbstverteidigung. Es gehe vor allem darum, ein selbstbewusstes Auftreten zu ­lernen und mögliche Täter abzuschrecken, sagen die beiden. So könne es zum Beispiel helfen, statt mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf aufrecht zu ­gehen und den Blick schweifen zu lassen. Die beiden wollen ihre Schüler und Schülerinnen stark machen.

Ihre Erfahrungen aus dem Training und den Gesprächen in der Kampfkunstschule helfen den beiden auch bei ­ihrer neuen Arbeit für die Außenstelle des WEISSEN RINGS im Burgenlandkreis. Auch hier treffen sie auf Menschen, die häusliche Gewalt, Mobbing oder ­Stalking erleben. Sie hatten aber auch schon mit Fällen von ­sexuellen Übergriffen und Missbrauchsfällen zu tun. „Am schlimmsten ist es natürlich, wenn Kinder und Jugendliche betroffen sind“, sagt Kornelia Fröde. Die Leitung der Außenstelle hat sie erst im November des vergangenen Jahres übernommen. Ihr Partner Thomas ist ihr Stellvertreter. Beide teilen sich die Arbeit, ­erledigen den Papier- und Organisationskram, führen aber nach wie vor auch Erstgespräche und beraten.

Mitglieder beim WEISSEN RING sind sie seit 2022. Ein befreundeter Kampfkunstmeister erzählte von seiner Arbeit im Verein und wie dieser Opfern von Gewalt hilft. Für Kornelia Fröde steht nach diesem Gespräch schnell fest, dass sie auch im WEISSEN RING aktiv werden will. „Ich habe sofort gedacht, dass ich dort Menschen wie meiner Mutti helfen kann.“ Denn viele Opfer stehen meist allein da. Sie erinnert sich an die Zeit mit ihrer Mutter im Frauenhaus. Als Jugendliche wusste sie nicht, dass es diese Einrichtungen überhaupt gibt. Und auch die Zeit danach war nicht einfach. Sie hatten eine Wohnung, aber sonst nichts. Kein Konto, keine Möbel. Die erste Zeit schliefen sie auf einer Matratze.

Dass sie die Leitung der Außenstelle gemeinsam so schnell übernehmen, hätten die beiden nicht gedacht. Sie sind zu dem Zeitpunkt noch nicht lange dabei, ­haben aber schon einige Hospitationen mitgemacht und gemeinsam mit den „alten Hasen“ Menschen betreut, die sich an die Außenstelle gewandt hatten. Schnell ­haben sie ­gemerkt, dass es vor allem erst einmal darum geht, da zu sein, zuzuhören und nicht zu urteilen.

Dann musste ihr Vorgänger aus familiären Gründen aufhören und suchte dringend jemanden, der über­nehmen konnte. Natürlich müssen sie sich noch ein­arbeiten, aber man ist beim WEISSEN RING nicht allein. „Es gibt immer jemanden, den man fragen kann und der unkompliziert hilft“, sagt Kornelia Fröde. Ein ­eigenes Büro haben sie nicht. Aber das Landratsamt und die ­Kirche stellen Räume zur Verfügung, wenn sie ­gebraucht werden, manchmal führen sie Erst- und Beratungs­gespräche auch im Raum der Kampfkunstschule. „Die Leute bleiben so anonym und wir haben hier genug Platz und Ruhe für die Beratung“, sagt Fröde.

Kornelia Fröde arbeitet hauptberuflich als stellver­tretende Niederlassungsleiterin bei einer Spedition, die Kampfkunstschule betreibt das Paar nebenberuflich. Die Anrufe von Betroffenen gehen meist bei Thomas Karius ein. Er ist Frührentner und arbeitet aushilfsweise in einem Baumarkt. So hat er mehr Zeit, sich die Anliegen der Anrufer anzuhören, und ist einfacher erreichbar. Insgesamt koordinieren sie acht ehrenamtlich Mit­arbeitende im Burgenlandkreis. Nach einem Anruf ist es die Aufgabe von Thomas Karius, schnell jemanden zu vermitteln, der in der Nähe wohnt. Manchmal reicht aber auch eine Hilfestellung am Telefon, wer in einer bestimmten Situation der richtige Ansprechpartner ist. Oft geht es auch um eine seelische Unterstützung oder Beistand. Zum Beispiel die Begleitung auf das Polizeirevier, wenn sich jemand nicht traut, zur Anzeigen­erstattung allein dorthin zu gehen.

Auch außerhalb der Kampfkunstschule und des Vereins gehen die beiden immer mit wachen ­Augen durch die Straßen. „Wir haben ein sensibles Radar und nehmen Sachen wahr, die andere gar nicht ­sehen“, sagt Kornelia Fröde. So zum Beispiel am Bahnhof in Hannover, wo ein betrunkenes Paar in heftigen Streit geriet. Kurz bevor der Mann mit einer Flasche auf die Frau losging, stellten sich beide dazwischen. Oder die Frau am Leipziger Hauptbahnhof, die zusammengekauert auf der Straße saß. Niemand hatte mitbekommen, dass sie nach einer Messerstecherei schwer verletzt war. Sie gingen zu ihr und kümmerten sich. Das sind ­Situationen, in denen sich Kornelia Fröde und Thomas Karius dann für andere stark machen.

Beate Erler