Jedes Jahr im Herbst, immer in zeitlicher Nähe zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November, wiederholt es sich: Dann präsentiert das Bundesfamilienministerium in Berlin gemeinsam mit dem Bundeskriminalamt (BKA) die kriminalstatistische Auswertung zur Partnerschaftsgewalt. Die zuständige Ministerin sagt dann, die Zahlen seien „erschreckend“ und ein „drängendes Problem“ (2017, Barley), für ein „modernes Land wie Deutschland eine unvorstellbare Größenordnung“ (2018, Giffey) und auch „schockierend“ (2019, Giffey).
In diesem Jahr verkündete die geschäftsführende Bundesfrauen- und Bundesjustizministerin Christine Lambrecht die Zahlen für 2020 und nannte sie „fürchterlich“. Alle zweieinhalb Tage wird eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Es müsse eine Sensibilisierung für das Thema geben. „Wenn ich ,Familientragödie‘ höre, wenn ein Mann seine Frau tötet, dann sträuben sich mir die Haare“, sagte Lambrecht vor der Bundespressekonferenz in Berlin. Eine Familientragödie sei es, wenn eine Mutter von drei Kindern an Krebs sterbe. Ein Femizid aber sei ein Verbrechen, und das müsse auch als solches benannt werden.
Neuer Höchststand
Die Fälle von Gewalt in der Partnerschaft und häuslicher Gewalt erreichten mit 148.031 vollendeten und versuchten Delikten einen neuen Höchststand. Ein erneuter Anstieg gegenüber dem Vorjahr um 4,9 Prozent – seit 2015 ein Anstieg um 11 Prozent. „Wir gehen von einem hohen Dunkelfeld aus“, sagte BKA-Chef Holger Münch. Es gebe Studien, die das Dunkelfeld auf bis zu 90 Prozent schätzen. „Teilweise liegen wir darunter, teilweise darüber“, so Münch.
Lambrecht sagte, dass das Familien- und Innenministerium gemeinsam mit dem BKA eine eigenständige, nationale, geschlechterübergreifende Opferbefragung zu Gewalterfahrungen machen werden. Die Studie verfolge das Ziel, das Dunkelfeld im Bereich von Gewaltkriminalität geschlechterdifferenzierend zu untersuchen.
„Die Frau wird nicht konsequent geschützt.“
Die Studie ist allerdings keine Reaktion auf die stetig steigenden Opferzahlen, sondern eine rechtliche Verpflichtung aus der Istanbul-Konvention, einem völkerrechtlichen Vertrag zwischen mehr als 40 Staaten zum Schutz von Frauen vor Gewalt. „Wir haben in Deutschland noch ein sehr, sehr großes Verbesserungspotenzial. Bei uns wird nicht konsequent reagiert, die Frau wird nicht konsequent geschützt“, sagte die Sozialwissenschaftlerin Dr. Monika Schröttle im März 2021 bei einer öffentlichen Anhörung. Schröttle leitet die Forschungs- und Beobachtungsstelle Geschlecht, Gewalt, Menschenrechte am Institut für empirische Soziologie (IfeS) in Nürnberg.
Das Lagebild Partnerschaftsgewalt und die ihr zugrunde liegende Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) sind die einzigen Datenquellen von offizieller Stelle, aus der sich aktuelle Informationen zu tödlicher Partnerschaftsgewalt gewinnen lassen.
Was wissen wir also über die Opfer von Gewalt in Partnerschaften?
• Die Zahl der Gewaltopfer in Partnerschaften stieg um 4,4 Prozent von 141.792 Opfern im Jahr 2019 auf 148.031 Opfer im Jahr 2020.
• Ganz überwiegend trifft diese Gewalt Frauen: 80,5 Prozent der Opfer sind weiblich.
• Am häufigsten betroffen waren Opfer zwischen 30 und 40 Jahren.
• 139 Frauen und 30 Männer wurden im Jahr 2020 durch ihre aktuellen oder ehemaligen Partner oder Partnerinnen getötet (132 Frauen und 26 Männer durch Mord und Totschlag; sieben Frauen und vier Männer durch Körperverletzung mit Todesfolge).
Was wissen wir über die Täter?
• Von den Tatverdächtigen sind 79,1 Prozent Männer.
• 37,9 Prozent der Taten werden durch Ex-Partner oder Ex-Partnerinnen begangen, der übrige Teil innerhalb bestehender Ehe- und Lebenspartnerschaften.
• Am häufigsten wurden mit einem Anteil von 33,8 Prozent Tatverdächtige im Alter zwischen 30 bis unter 40 Jahren (41.376) erfasst, gefolgt von den 40- bis unter 50-Jährigen mit 21,6 Prozent (26.445).
• Von insgesamt 122.537 bei vollendeten und versuchten Delikten der Partnerschaftsgewalt erfassten Tatverdächtigen waren 65,8 Prozent deutsche Staatsangehörige (80.667). Bei den Tötungen ist der Anteil der deutschen Tatverdächtigen etwas höher und liegt bei 68,3 Prozent.
Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz
Eine Zunahme verzeichnen die aktuellen Daten auch bei der Anzahl der Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz: Wie bereits im Vorjahr stieg die Zahl der erfassten Tatverdächtigen um rund fünf Prozent auf 6.571 Personen. 92,6 Prozent davon waren Männer. Das Gewaltschutzgesetz ermöglicht es Gerichten, gegen Gewalttäter ein Annäherungs- und Kontaktverbot auszusprechen.
Die Bundesgeschäftsführerin des WEISSEN RINGS in Mainz, Bianca Biwer, sagte zu den aktuellen Zahlen aus Berlin: „Wir sehen nur die Spitze des Eisbergs – es wird Zeit, dass wir alle hinschauen. Täter müssen verfolgt werden. Bei wiederholtem Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz zur Not auch via elektronischer Fußfessel.“
Während der Pressekonferenz in Berlin sind in Deutschland statistisch 13 Frauen Opfer von Gewalt geworden.
Christoph Klemp