Fünf Jahre Onlineberatung

„Vor Corona hatten wir 200 Erstanfragen im Monat, nun sind wir bei 300“

Seit fünf Jahren bietet der WEISSE RING auch eine Onlineberatung an. Laura Cornish ist von Anfang an dabei. Im Interview erzählt die ehrenamtliche Helferin, wie das Angebot funktioniert – und mit welchen Anliegen sich die Ratsuchenden melden.

Foto: janeb13 | Pixabay

Seit fünf Jahren gibt es die Onlineberatung des WEISSEN RINGS nun. Sie sind seit der ersten Stunde mit dabei. Wie läuft eine Onlineberatung typischerweise ab?

Bei der Onlineberatung haben die Ratsuchenden die Möglichkeit, uns ihre Anfragen komplett anonym zuzusenden. Wir versprechen eine Rückmeldung innerhalb von 72 Stunden. Üblicherweise sind wir allerdings deutlich schneller. Danach findet der Austausch dann im Rhythmus des jeweiligen Beraters oder der Beraterin statt, weil wir im Lauf der Woche zu persönlichen, festen Zeiten online sind, die wir den Ratsuchenden auch mitteilen. In der Regel bekommen diese also ein bis zwei Mal pro Woche eine Antwort von uns. Da wir keine lebensbegleitende Beratung anbieten, haben wir ein Limit von acht Nachrichten von beiden Seiten, das allerdings nicht starr ist und so gut wie nie erreicht wird.

Aber der Austausch läuft ausschließlich per Chat?

Per Nachrichtenaustausch, also wie E-Mail-Verkehr. Einen Live-Chat gibt es noch nicht bei uns.

Und Sie sagten, Sie bleiben deutlich unter den 72 Stunden, wo liegt da der Durchschnitt? Bis wann können Ratsuchende mit einer Antwort rechnen?

Aktuell antworten wir in unter 20 Stunden. Wir sind momentan auch gut aufgestellt.

Wie viele Berater sind Sie denn?

Wir sind 52 Beraterinnen und Berater.

Bekommen Sie seit Beginn der Corona-Pandemie mehr Anfragen?

Vor Corona hatten wir etwa 200 Erstanfragen im Monat, nun sind wir bei rund 300.

Mit welchen Problemen kommen die Ratsuchenden üblicherweise auf Sie zu? Und ist da seit der Corona-Pandemie eine Veränderung zu sehen?

Die Anzahl der Anfragen hat sich erhöht, die Straftaten, mit denen Ratsuchende sich an uns wenden, sind allerdings gleichgeblieben. Der Fokus liegt nach wie vor auf den Sexualdelikten und der häuslichen Gewalt. Außerdem kommen Körperverletzungen und Stalking oft vor.

Und für welchen Kriminalitätsbereich sind Sie zuständig?

Wir Beratenden ordnen uns nicht unterschiedlichen Bereichen zu. In unserer Ausbildung lernen wir alle alles. In der Regel nehmen wir die älteste Anfrage an, wenn wir online kommen.

Was hat Sie motiviert, Onlineberaterin für den WEISSEN RING zu werden?

Ehrenamtliche Arbeit war mir schon immer wichtig. Während des Studiums war ich beispielsweise Lesementorin und habe Deutschunterricht für Geflüchtete gegeben. Und danach war ich auf der Suche nach einer Tätigkeit, die ich mit meinem Vollzeitjob verbinden kann, und genau da bin ich über die Ausschreibung der Onlineberatung gestolpert.

Fünf Jahre sind jedenfalls eine lange Zeit. Die Arbeit scheint Sie zu erfüllen…

Ich bin Sozialpädagogin, fühle mich also vielleicht beruflich bedingt eher zur ehrenamtlichen Arbeit hingezogen. Immerhin hat man ja automatisch Berührungspunkte. Und die Aufgabe beim WEISSEN RING ist ein supertolles Ehrenamt. Der WEISSE RING als Verein spielt da überhaupt eine riesige Rolle, weil unsere Ausbildung so gut ist und auch kontinuierlich fortgeführt wird. Auch die Bindung unter uns Beratenden ist super! Zu wissen, dass wir helfen können, ist einfach schön. Und dass wir helfen können, sehen wir an unseren Zahlen.

Inwiefern drücken die Zahlen das aus? Wie messen Sie das?

Allein dadurch, dass die Anfragen steigen, sieht man, dass sich die Onlineberatung etabliert hat. Anfangs hatten wir bei weitem nicht so viele Anfragen wie heute. Aber man sieht es auch daran, dass die Leute zurückschreiben und dass wir erreichen, dass sie sich an die jeweils zuständige Außenstelle wenden, wo sie noch umfangreichere Hilfe bekommen können.

Von Anfang an dabei: Onlineberaterin Laura Cornish (Foto: privat)

Gab es mal einen Fall, der Sie besonders mitgenommen hat oder einen Moment, in dem Sie ans Aufhören dachten?

Ans Aufhören habe ich höchstens mal gedacht, wenn es bei mir auf Arbeit sehr stressig wurde. Aber da habe ich auch mehr eine Pause erwogen. Pausen sind bei uns generell keine Seltenheit. Manchmal weil Berater eine berufliche Weiterbildung machen oder zum Beispiel weil jemand schwanger ist. Ein Fall aber hat mich nie dazu gebracht, ans Aufhören zu denken. Wir haben außerdem eine tolle Supervision und sprechen untereinander viel.

Und sind Ihnen auch Fälle in positiver Erinnerung geblieben, weil Sie helfen konnten und etwas bewirkt haben?

Ja! Es ist immer schön, wenn es klappt, dass sich die Leute an die zuständige Außenstelle wenden. Die meisten Leute wissen schon davon, wenn sie über die Webseite gekommen sind, und sehen ja, dass es auch Hilfe vor Ort gibt, nur trauen sie sich oft nicht. Die Außenstelle ist aber der Ort, wo sie zur Polizei begleitet werden können oder wo ein Erstberatungsscheck ausgestellt werden kann für eine anwaltliche Beratung oder für eine psychotraumatologische Beratung.

Wir haben mehr eine Lotsenfunktion, stellen viele Informationen zur Verfügung und klären beispielsweise über das Opferentschädigungsgesetz auf. Aber den Antrag dafür gemeinsam stellen – das macht man in der Außenstelle. Schön ist es jedenfalls immer, wenn Leute sich ernstgenommen und gehört fühlen und spüren, ja, der WEISSE RING ist die richtige Anlaufstelle für mich. Wenn sie sich dann obendrein trauen, sich auch im Außen die Hilfe zu holen – umso besser!

Wie feiern Sie den fünften Geburtstag?

Unser Jubiläum feiern wir am Samstag, 9. Oktober 2021. Was auf dem Programm steht, hat uns das Orga-Team allerdings noch nicht verraten.

Wenn wir dieses Gespräch in fünf Jahren wieder führen würden, was sollte sich Ihrer Meinung nach bis dahin verändert haben? Was würden Sie sich wünschen?

Die Entwicklung, die es in den letzten fünf Jahren gab, war groß. Ich würde mir wünschen, dass es so weitergeht. Wir haben ein sehr engagiertes Orga-Team. Da gab es in der Vergangenheit zwar schon Wechsel, doch alle sind stets mit Herzblut dabei. Es wäre spannend, wenn es irgendwann eine richtige Chatberatung mit Livekontakt gäbe. Und obwohl das Team mit 52 Personen zwar gerade ganz gut aufgestellt ist, freue ich mich schon wieder auf die nächste Auswahlrunde 2022. Ich glaube, es ist noch Luft nach oben. In fünf Jahren wird es sicher nicht genauso aussehen wie heute.

Zum Abschluss: Wie würden Sie in zwei oder drei Sätzen zusammenfassen, was für Sie das Schönste ist an der Onlineberatung?

Zu wissen, dass wir Menschen helfen können, die wir sonst wahrscheinlich nicht erreichen würden, ist für mich das Schönste an der Onlineberatung. Das war immer das ultimative Ziel: Einen super niedrigschwelligen Zugang zu bieten. In meiner Arbeit als Sozialpädagogin begegne ich den Leuten, die kein Vertrauen haben in offizielle Stellen, die nicht einfach mal den Hörer in die Hand nehmen und sagen: „Mir ist was passiert und bitte helft mir mal“. Das ist ja ohnehin schon schwer. Aber wenn man dann noch das Gefühl hat, man ist vielleicht nicht richtig oder denkt „mir wird sowieso nicht geholfen“, dann ist es wesentlich einfacher, sich nachts hinzusetzen, eine E-Mail rauszuschicken und mal zu sehen, wer da antwortet. Das ist für mich das Wichtigste und Schönste daran: Zu wissen, uns schreiben Menschen, die sonst vielleicht keine Hilfe bekommen hätten.

Christoph Zempel